Von Bürgern und Einwohnern … und Frau Dr. Steveling

Manchmal wünschte man sich als unbeteiligter Zuschauer, es gäbe einen Bürgerschaftsbeschluss, der die Mitglieder derselben dazu verpflichten würde, die Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern zu lesen, und nicht eher damit aufzuhören, bis sie den Inhalt des Gesetzestextes verstanden haben, denn schließlich wurden sie auf diese vereidigt. Schon bei den Satzungen der beiden Beiräte musste das Innenministerium die von der Greifswalder Bürgerschaft gefassten Beschlüsse kassieren. Bei einem Tagesordnungspunkt der letzten Bürgerschaftssitzung waren es wohl mehr parteipolitische Erwägungen, welche das Abstimmungsergebnis beeinflussten. Auch die Argumentation einer Ablehnung des Widerspruches des Oberbürgermeisters war reichlich schwach, denn anstatt eines Lebensmittelpunktes, der nicht gegeben ist, hätte diese einen Nebenwohnsitz erklären müssen, der aber offensichtlich nicht als solcher angemeldet ist.

Im Mittelpunkt des Streites stand Dr. Antje Steveling von der Kompetenz für Vorpommern, welche bevor sie nach Neuenkirchen verzog, mehrere Jahre lang im Präsidium der Greifswalder Bürgerschaft saß. Mit dem Umzug musste sie ihr Mandat zurückgeben, auf ihrem Sessel mit Blick auf das Auditorium sitzt seitdem Thomas Mundt von der CDU. Am 22. Mai wurde sie als stellvertretendes Mitglied für den Ausschuss für Sport, Soziales und Jugend gewählt, woraufhin Oberbürgermeister Dr. Stefan Fassbinder seinen Einspruch gegen den Beschluss formulierte, der kontrovers und recht lang ausgefochten wurde. Immer wieder fiel das das Argument eines ehrenamtlichen Engagements und die Frage, ob ein Büro mit Schlafcouch eine Wohnung ist, nahm die den größten Teil des Disputs in Anspruch.

Das Argument eines Lebensmittelpunkts braucht man nicht weiter zu verfolgen, denn laut Rechtsprechung ist dieser in der Wohnung der Familie, also in Neuenkirchen. Es ist im Prinzip wie mit der westdeutschen Professorenschaft der hiesigen Universität, welche ein paar Tage in Greifswald weilt und lehrt, sich dann ins Auto oder den Zug setzt und den Rest der Woche in dem Ort verbringt, der durch den angemeldeten Hauptwohnsitz von den Schlüsselzuweisungen profitiert. Für die anderen Orte sind sie Bürger mit allen Rechten und Pflichten, für Greifswald nur Einwohner mit einem Nebenwohnsitz. Und so unterscheidet auch die Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern rechtlich zwischen Bürgern und Einwohnern.

§ 13 Begriff
(1) Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde sind die in der Gemeinde wohnenden natürlichen Personen.
(2) Bürgerinnen und Bürger sind die zu den Gemeindevertretungswahlen wahlberechtigten Personen nach Absatz 1.

Als Einwohner der Gemeinde muss man zum einen eine natürliche Person sein, zum anderen in dieser Gemeinde eine Wohnung haben. Einwohner sind übrigens auch die Angehörigen anderer Staaten, die in Greifswald studieren oder arbeiten. Ein Hauptwohnsitz muss auch nicht vorhanden sein, denn dieser ist nur einer der Voraussetzungen, neben der deutschen Staatsangehörigkeit und dem Wahlalter, um die Mitglieder der Bürgerschaft wählen, beziehungsweise selbst gewählt werden zu können. Die in § 6 Landes- und Kommunalwahlgesetz erwähnte Wählbarkeit betrifft nur die Mitglieder der Gemeindevertretungen und Kreistage.

§ 23 Mitglieder der Gemeindevertretung
(1) Die Mitglieder der Gemeindevertretung werden von den Bürgerinnen und Bürgern in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl auf die Dauer von fünf Jahren gewählt. Das Nähere regelt das Landes- und Kommunalwahlgesetz.

Für die Mitglieder der beratenden Ausschüsse dürften wohl andere Maßstäbe gelten, denn hier spricht die Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern nicht von Bürgern sondern explizit von Einwohnern und laut § 13 sind Einwohner auch Leute mit einem Nebenwohnsitz.

§ 36 Beratende und weitere Ausschüsse
(5) Die Hauptsatzung kann bestimmen, dass neben einer Mehrheit von Mitgliedern der Gemeindevertretung auch weitere sachkundige Einwohnerinnen und Einwohner in die beratenden Ausschüsse zu berufen sind. Die Hinzuziehung von Sachverständigen ist zulässig. Sachkundige Einwohnerinnen und Einwohner haben für die Teilnahme im Ausschuss die gleichen Rechte und Pflichten wie Mitglieder der Gemeindevertretung. §§ 24 bis 27 und 28 Absatz 2 Satz 3 gelten entsprechend.

Ein kurzer Blick in Meldegesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern lässt den lange diskutierten Begriff Wohnung leichter verständlich zu machen. Bei der sehr allgemein gefassten Formulierung des Gesetzes dürfte Frau Dr. Steveling wohl kein Problem haben, ihre zum Schlafen genutzten Räumlichkeiten als Wohnung deklarieren zu können.

§ 15 Begriff der Wohnung
Wohnung im Sinne dieses Gesetzes ist jeder umschlossene Raum, der zum Wohnen oder Schlafen benutzt wird. Als Wohnung gilt auch die Unterkunft an Bord eines Schiffes der Bundeswehr. Wohnwagen und Wohnschiffe sind nur dann als Wohnungen anzusehen, wenn sie nicht oder nur gelegentlich fortbewegt werden. § 22 bleibt unberührt.

Ein Problem dürfte eher einen Paragraphen weiter auftreten, denn während der gesamten Diskussion fiel keine Aussage über die Anmeldung eines Nebenwohnsitzes.

§ 16 Mehrere Wohnungen
(3) Nebenwohnung ist jede weitere Wohnung des Einwohners.
(4) Der Einwohner hat bei jeder An- oder Abmeldung mitzuteilen, welche Wohnung seine Hauptwohnung ist und welche weiteren Wohnungen er hat. Er hat jede Änderung der Hauptwohnung der für die neue Hauptwohnung zuständigen Meldebehörde mitzuteilen.

Bei der anschließenden Abstimmung votierten neunzehn Bürgerschaftsmitglieder gegen und achtzehn Bürgerschaftsmitglieder für den Widerspruch des Oberbürgermeisters. Bei fünf Enthaltungen ein wahrlich knappes Ergebnis. Letztendlich heißt es sachkundige Einwohner und nicht sachkundige Bürger, und solange Frau Dr. Steveling einen angemeldeten Nebenwohnsitz glaubhaft vorweisen kann, dürfte diese Entscheidung auch vom Innenministerium akzeptiert werden müssen, war doch der eigentliche Grund des strittigen Widerspruchs ein fehlender Wohnsitz in Greifswald.