Baden mit einem antiquierten Familienbild – Ein Kommentar

Freizeitbad Greifswald
Freizeitbad Greifswald

Der Duden definiert den Begriff der Familie als eine „aus einem Elternpaar oder einem Elternteil und mindestens einem Kind bestehende [Lebens]gemeinschaft“ und bringt mit dieser Definition einen Sachverhalt auf den Punkt, der selbst juristisch nicht eindeutig definiert ist. Als Keimzelle der Gesellschaft betitelte einst das Bundesverfassungsgericht die Familie, und heutzutage, sechs Jahrzehnte später, sollte es eigentlich recht unstrittig sein, dass man den Familienbegriff mit heranwachsenden Kindern begreift. Zudem darf laut Artikel 6 Absatz 5 des Grundgesetzes auch nicht rechtlich zwischen ehelichen und unehelichen Kindern unterschieden werden, was irgendwie auch impliziert, dass auch die Form der Lebensgemeinschaft ihrer Eltern keinen Einfluss auf Regelungen haben darf, die sie direkt oder indirekt betreffen. Beim Kultur- und Sozialpass der Universitäts und Hansestadt Greifswald wird diese Forderung zumindest auf dem Papier erfüllt, denn die gewährten Vergünstigungen werden auf gültigen Tarif angerechnet.

An dieser Stelle macht es sich die Greifswalder Bürgerschaft leicht, indem sie einfach auf die Preise der jeweiligen Anbieter verweist, und die Preisgestaltung nicht weiter hinterfragt. Einen Anlass die Preisgestaltung des städtischen Freizeitbades zu hinterfragen, bietet nun die von mehreren Fraktionen gestellte Forderung einer Erweiterung der Leistungen des Kultur- und Sozialpasses, der den neuen, auf 90 Minuten begrenzten Kurzzeittarif des Freizeitbades in den Leistungskatalog aufnehmen möchte. An sich keine schlechte Idee, wäre da nicht das etwas veraltete Familienbild der Greifswalder Stadtwerke, welche mit ihren Tarifen eine Familie aus zwei Erwachsenen und mindestens einem Kind definiert. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte die Stadtverwaltung die aktuellsten Zahlen des Kultur- und Sozialpasses, nach denen „insgesamt 154 Alleinerziehende mit bis zu 6 Kindern, aber auch 182 Familien von 3 bis 6 Kindern die Angebote nutzten“. Um die zukünftigen Leistungen des Kultur- und Sozialpasses überhaupt beurteilen zu können, muss man sich die derzeitige Preisgestaltung für Familien zu Gemüte führen.

Gruppengröße Normaltarif Gruppentarif Ersparnis
2 Erwachsene + 1 Kind 26,50 € 22,50 € 04,00 €
2 Erwachsene + 2 Kinder 33,00 € 25,00 € 08,00 €
2 Erwachsene + 3 Kinder 39,50 € 29,50 € 10,00 €
2 Erwachsene + 4 Kinder 46,00 € 34,00 € 12,00 €
1 Erwachsener + 1 Kind 16,50 € 00,00 €
1 Erwachsener + 2 Kinder 23,00 € 00,00 €
1 Erwachsener + 3 Kinder 29,50 € 00,00 €
1 Erwachsener + 4 Kinder 36,00 € 00,00 €

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es eine Regelung gibt, nach der Kinder unter einem Meter kostenlos ins Schwimmbad kommen. Dafür gilt man aber auch nur solange als Kind, solange man noch keine sechzehn Jahre alt ist. Anscheinend gilt man dann als Erwachsener, Gegenteiliges findet man jedenfalls nicht auf der Seite. Mit etwas Glück schafft man es lange, die Größenregelung für sich zu nutzen, aber irgendwann sind die Kinder dann doch dem Wachstum erlegen und werden bei der Höhe des Eintrittsgeldes berücksichtigt. Und dann steht man vor der Anzeigetafel mit den Preisen und versucht den günstigen Tarif für sich und seine Kinder zu finden.

Für Erwachsene bezahlt man 10,00 Euro, für Kinder 6,50 Euro und wenn man das richtige Familienbild erfüllt, gibt es einen Tarif für Familien, mit dem man ein paar Euro sparen kann. Nur dumm, dass man keinen Tarif für alleinerziehende Eltern finden kann. Und so kommt es, dass beispielsweise eine alleinerziehende Mutter, für alleinerziehende Väter trifft es genauso zu, für sich und ihre drei Kinder genauso viel Eintritt bezahlen muss, wie ein Ehepaar mit genauso vielen Kindern, und das, obwohl sie insgesamt betrachtet, eine Person mehr im Schwimmbad sind. Bei vier Kindern bezahlen Alleinerziehende sogar ein paar Euro mehr. Würde man einen vergleichbaren Familientarif für Alleinerziehende mit denselben Vergünstigungen anbieten, würde der ungefähr so ausschauen:

Gruppengröße Normaltarif Gruppentarif * Ersparnis *
1 Erwachsener + 1 Kind 16,50 € 12,50 € 04,00 €
1 Erwachsener + 2 Kinder 23,00 € 17,00 € 06,00 €
1 Erwachsener + 3 Kinder 29,50 € 21,50 € 08,00 €
1 Erwachsener + 4 Kinder 36,00 € 26,00 € 10,00 €

Laut dem vorliegenden Antrag sollen mit dem Kultur- und Sozialpass Erwachsene 4,00 Euro und Kinder 1,50 Euro für den Kurzzeittarif bezahlen. Darüber hinaus gibt es einen Tarif für Familien, dessen Definition wortwörtlich „2 Erwachsene, mind. mit 1 Kind“ lautet. Eine maximale Anzahl an Kindern oder eine Staffelung findet man nicht. Visualisiert nach der Anzahl an Kindern, würde die Preistafel folgendermaßen aussehen:

1 Erwachsener + 1 Kind 05,50 € 2 Erwachsene + 1 Kind 07,00 €
1 Erwachsener + 2 Kinder 07,00 € 2 Erwachsene + 2 Kinder 07,00 €
1 Erwachsener + 3 Kinder 08,50 € 2 Erwachsene + 3 Kinder 07,00 €
1 Erwachsener + 4 Kinder 10,00 € 2 Erwachsene + 4 Kinder 07,00 €

Diese Übersicht ist aber nicht ehrlich genug, denn gruppiert man den Tarif nach der Personenanzahl, entsteht untenstehendes Bild. Und auch dieses ist noch nicht hundertprozentig perfekt, da beispielsweise Erwachsene mehr als Kinder bezahlen und daher die Ersparnis bei ihnen deutlich größer ausfällt. Und so zahlt dann eine alleinerziehende Mutter (oder Vater) mit zwei Kindern genauso viel wie ein Ehepaar mit einem Kind, eine alleinerziehende Mutter (oder Vater) mit drei Kindern mehr als ein Ehepaar mit zwei Kindern, und das obwohl jeweils dieselbe Anzahl an Personen vor der Kasse steht.

Gruppengröße Alleinerziehende „Familien“ laut Antrag
1 Person
2 Personen 05,50 €
3 Personen 07,00 € 07,00 €
4 Personen 08,50 € 07,00 €
5 Personen 10,00 € 07,00 €
6 Personen 11,50 € 07,00 €

Mit der aktuellen und auch der beabsichtigten Änderung der Preisgestaltung des städtischen Schwimmbades behandelt die Universitäts- und Hansestadt uneheliche und eheliche Kinder höchst unterschiedlich. Ein Zustand, der eigentlich nur geändert werden kann, indem man sich vom antiquierten Familienbild entfernt und einen Familientarif für alleinerziehende Eltern einführt, auf den dann auch die Leistungen des Kultur- und Sozialpasses angerechnet werden können.