König Sadyattes I. beherrschte als letzter Vertreter der Dynastie der Herakleiden das Königreich Lydien, bevor er von seinen Untergebenen Gyges gestürzt wurde, der die Dynastie der Mermnaden begründete. Um diese Tat ranken sich zahlreiche Geschichten, von denen die in der Politeia von Platon beschriebene Geschichte zwar die bekannteste, wenngleich auch die unrealistischste Fassung ist, denn in dieser befindet sich Gyges im Besitz eines Ringes, der ihn unsichtbar machen konnte. Auch Friedrich Hebbel faszinierte der antike Stoff so sehr, dass er sie unter dem Titel Gyges und sein Ring auf die Bühne brachte. Im Vergleich zu seiner Vorlage änderte er die moralische Aussage insoweit, dass er den Kampf zwischen einem alten und einem neuen System, was in gewisser Weise auch seinen Charakterzügen entsprach, war er doch nicht nur ein Befürworter der politischen Revolution, sondern auch ein loyaler Anhänger der alten Monarchie. Entsprechend gestaltet er den Konflikt, den die Protagonisten seiner Geschichte durchleben müssen.
Schon in der ersten Szene wird die Modernität der Person des Kandaules ersichtlich, lehnt er doch die Krone seiner Ahnen ab und setzt sich eine eigene auf das Haupt. Mit dieser Tat entfremdet er sich von seinem Volke, dass er für rückständig hält. Auch in privaten Angelegenheiten möchte er andere Wege gehen, ist er doch mit Rhodope verheiratet, die den Ruf hat, die schönste Frau der Welt zu sein. Wie kann er sich dieser Tatsache sicher sein, wenn sie sich der Öffentlichkeit nur verschleiert zeigt. Ihre Moralvorstellungen verbieten es ihr, sich anders zu verhalten. So sucht Kandaules die Bestätigung bei seinem Freund Gyges, der den Ring benutzen soll und ihm unsichtbar in sein Schlafgemach folgen soll, wo Rhodope ihren Mann erwartet. Mit ihrer Schönheit verzaubert sie Gyges, welcher sich sofort in sie verliebt. An dieser Stelle bekommt Kandaules zwar den gewünschten Beweis, aber auch einen Konkurrenten um die Liebe seiner Frau.
Gyges Liebe ist so stark, dass er diese Rhodope gestehen will, die wiederum von seiner Tat entsetzt, ein Duell mit Kandaules fordert. Nach ihrer Moralvorstellung darf nur ihr eigener Mann sie so sehen, wie sie Gyges gesehen hat. Nur der Tod ihres Mannes, welcher diese Tat forderte und eine anschließende Hochzeit können sie umstimmen. So bleibt Gyges nichts anderes übrig, als von seinen Freund Kandaules einen Kampf um Leben und Tod zu fordern. Gegen den athletischen Gyges hat dieser keine Chance, er stirbt und mit seine Krone wird Gyges gekrönt. Dass Rhodope ihre Schmach trotz allen Geschehnissen nicht vergessen konnte, äußert sich in ihrer letzten Tat, mit der sie ihrem Leben ein Ende setzt. Für Friedrich Hebbel, der mit Gyges und sein Ring das Scheitern der bürgerlichen Revolution in Deutschland verarbeite, verloren beide Seiten. Die fortschrittlichen Kräfte in der Person des Kandaules, ebenso wie die konservativen Kräfte in der Person der Rhodope, deren unvereinbare Weltanschauungen sie zu einem tödlichen Konflikt führen sollten.
Nach Liebe Macht Tod ist Gyges und sein Ring das zweite Stück, welches der neue Oberspielleiter des Theater Vorpommern André Rößler an seiner neuen Wirkungsstätte inszenieren wird. Unbekannt ist ihm der Stoff des Stückes wahrlich nicht, schließlich arbeitete er während seines Studiums an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin mit weiteren Regiestudenten an einer Inszenierung von Regisseur Robert Schuster mit. Interessanterweise war einer der damaligen Darsteller Arnim Beutel, welcher am hiesigen Haus das Jugendstück Tschick inszenierte und auch beim diesjährigen Weihnachtsmärchen Frau Holle Regie führen wird. André Rößler hat wiederum eine Vorliebe antike Geschichten in die heutige Zeit zu transferieren. Da der Konflikt zwischen Moderne und Tradition allgegenwärtig ist, dürfte auch Friedrich Hebbels Gyges und sein Ring eine gute Vorlage dafür bieten.
Premieren
28.September 2013 – 19:30 Uhr – Theater Stralsund
18. Oktober 2013 – 19:30 Uhr – Theater Putbus
02. November 2013 19:30 Uhr – Theater Greifswald