Der alltägliche Sexismus oder Greifswald diskriminiert Tagespflegepersonen

Es kommt nicht oft vor, dass in der Greifswalder Bürgerschaft so viel Einigkeit vorherrscht wie bei der Beschlussvorlage BV-P/07/0080-01, die mit „Kinderfreundliches Greifswald: Finanzmittel für Kindertagesstätten und Spielplätze“ betitelt war. Nicht nur dass die CDU-Fraktion und die Fraktion BG/FDP/KfV den ursprünglich von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen initiierten Antrag zusammen mit der sogenannten Oberbürgermeistermehrheit einbrachten, auch das Abstimmungsergebnis war mit hundert Prozent Ja-Stimmen überwältigend eindeutig und ein äußerst seltenes Bild in der Bürgerschaft. Die Gräben sind tief und die Abstimmungen vorhersehbar. Der besagte Beschluss lautet übrigens folgendermaßen:

Die Bürgerschaft der Universitäts- und Hansestadt beschließt, 650.000 € der aufgrund der KiföG-Novelle nicht verwendeten Mittel für den Anteil der Wohnsitzgemeinde im Jahr 2020 für folgende Projekte einzusetzen:

die örtlichen Kindertagesstätten und Tagesmütter erhalten zusätzliche Sachmittel in Höhe von 400.000 €. Die bereitgestellten Mittel können z.B. zur Unterstützung der Anschaffung von Materialien, für zusätzliche pädagogische Angebote (auch solchen welche durch externe Professionelle angeboten werden), für Projekte und zur Verbesserung der Qualität der frühkindlichen Bildung eingesetzt werden.

Die Mittel sollen wie folgt verteilt werden:

– Sockelbetrag je KiTa 2000€

– Sockelbetrag für Tagesmütter 250€

– die dann verbliebenen Mittel werden als pro Kindpauschale verteilt

250.000 € sollen in die Umgestaltung des Spielplatzes Puschkinring/Pappelallee in einen altersübergreifenden Bau- und Naturabenteuerspielplatz fließen und in eine Teilaufwertung des Spielplatzes Rosengarten durch Spielgeräte, die sich bei einer baulichen Umgestaltung des Areals leicht versetzen lassen. Eine altersgerechte Beteiligung und Mitwirkung von Kindern ist vorzusehen.

Die Bürgerschaft bittet den Oberbürgermeister bis zur Haushaltsberatung 2020 eine Priorisierung für die Aufwertung bzw. die Notwendigkeit von Neuanlagen der kommunalen Spielplätze vorzulegen.

Der von der Greifswalder Bürgerschaft gefasste Beschluss ist auf den ersten Blick für viele Leute nicht wirklich auffällig, ein Blick in das Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe und ein erneutes Lesen des Beschlusses, dürfte vielleicht die Augen öffnen:

§ 22 Grundsätze der Förderung

(1) Tageseinrichtungen sind Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden. Kindertagespflege wird von einer geeigneten Tagespflegeperson in ihrem Haushalt oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten geleistet. Das Nähere über die Abgrenzung von Tageseinrichtungen und Kindertagespflege regelt das Landesrecht. Es kann auch regeln, dass Kindertagespflege in anderen geeigneten Räumen geleistet wird.

Das Sozialgesetzbuch spricht eindeutig und sogar geschlechtsneutral nur von Tagespflegepersonen, welche die sogenannte Kindertagespflege in ihren Haushalten oder in den Haushalten der Personensorgeberechtigten betreiben. Dass man als Mutter oder Vater nach dem Gesetz eine personensorgeberechtigte Person ist, dürfte aus dem Gesetzestext hoffentlich erfassbar sein, dass es sich aber bei Tagespflegepersonen nur um Tagesmütter handelt aber nicht. Dass bestimmte Personengruppen ein konservatives Familienbild haben, bei der ausschließlich die Mütter die sogenannte Erziehungsarbeit übernehmen, ist bekannt, dass aber diejenigen Personengruppen, die gerade diese Ansichten anprangern, in deren Reden gefühlt jedes zweite Wort entweder Gleichstellung oder Gerechtigkeit ist, und ein in ihren Augen modernes Familienbild fordern, den gleichen Sexismus an den Tag legen, dürfte zu denken geben. Zumindest haben sie an diesem Abend viel von ihrer Glaubwürdigkeit verloren. Der Antrag passierte zuvor den Ausschuss für Soziales, Jugend, Inklusion, Integration, Gleichstellung und Wohnen, wo der Beschlusstext mit den Zahlungen an die Tagesmütter ergänzt wurde, denn dieser fand sich im ursprünglichen Antrag nicht.

Das gute Abstimmungsergebnis darf den Oberbürgermeister aber nicht davon abhalten, den gefassten Beschluss formal zu beanstanden und darin das Wort Tagesmütter durch Tagespflegepersonen ersetzen zu lassen. Dieses ist nicht nur dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, sondern auch der Realität geschuldet. Während die Bürgerschaftsmitglieder dreierlei Geschlechts ihr je nachdem geartetes Weltbild pflegen, gibt es derzeitig in Greifswald mindestens zwei Tagespflegepersonen, auf welche die Bezeichnung Tagesmutter garantiert nicht zutrifft. Mit Hilfe einer Google-Suche findet man zwei Tagesväter, welche in Greifswald tätig sind und eine eigene Internetseite haben. Diesen beiden Tagesvätern können die jeweiligen Bürgerschaftsfraktionen nun mal ausführlich erklären, warum sie bei diesem Antrag nicht bedacht wurden. In der Begründung bitte mindestens zehnmal die Wörter Gleichstellung und Gerechtigkeit verwenden!

Klitzekleine Kinderhochschule Lütte Butscher
Kleinkindertagesstätte Sternschnuppe