Vor ein paar Tagen wurde das durch die Beratungsagenturen MuseoConsult und Studio Kernland erstellte Gutachten für eine Standortanalyse des zukünftigen Archäologischen Landesmuseums für Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht. Die Wahl des optimalsten Standorts fiel wie erwartet aus, denn mit einem deutlichem Abstand konnte sich die Hansestadt Rostock mit 875 Punkten auf dem ersten Platz behaupten. Nur die zweite Wahl war die Landeshauptstadt Schwerin mit 684 Punkten, die Hansestadt Strasund konnte mit 644 Punkten den dritten Platz belegen, recht knapp vor der Hansestadt Greifswald mit 607 Punkten. Die schlechteste Bewertung erhielt der Standort Weltzin im Tollensetal mit insgesamt 60 Punkten. Mittels einer SWOT-Analyse ermittelten die beiden Beratungsfirmen den offensichtlich von der Landesregierung favorisierten Standort, denn die Bewertungen der einzelnen Kriterien wirken oft an den Haaren herbeigezogen.
Einige der getätigten Bewertungen sind offensichtlich sogar falsch, denn wenn man sich Zahlen einmal genauer anschaut, kommt man zu einem anderen Ergebnis. Im ersten Teil der SWOT-Analyse Zentralität findet man eine Betrachtung der Standortfaktoren und irgendwie stimmen die Bewertungen des Gutachtens nicht mit den Zahlen überein, welche das Statistische Landesamt bereitstellt. Während es in diesem nur ein Bevölkerungswachstum in Schwerin, Rostock, Stralsund und Neustrelitz gibt, Greifswald wird bei diesem Punkt jedenfalls ignoriert und erhält so keine Punkte, weist das Statistische Landesamt einen deutlichen Bevölkerungsrückgang in Schwerin und Neustrelitz aus, während Greifswald in den letzten Jahren deutlich zulegen konnte und die Bevölkerungszahlen in Rostock auch nicht gerade explodieren.
Schwerin | Rostock | Stralsund | Greifswald | Neustrelitz | |
---|---|---|---|---|---|
Bewertung | die Stadt wächst | die Stadt wächst | die Stadt wächst | keine Aussage | die Stadt wächst |
2010 | 95220 | 202735 | 57670 | 54610 | 21207 |
2011 | 95300 | 204260 | 56921 | 55949 | 20328 |
2012 | 91264 | 202887 | 57357 | 55771 | 20322 |
2013 | 91583 | 203431 | 57301 | 56445 | 20399 |
2014 | 92138 | 204167 | 57525 | 56685 | 20476 |
Wachstum | -3.24% | +0.70% | -0.25% | +3.80% | -3.45% |
Dafür, dass sich die Beratungsagenturen in Mecklenburg-Vorpommern nicht persönlich umgeschaut haben, sprechen nicht nur die illustrierenden Bilder, die fast vollständig aus der Wikipedia stammen, sondern auch das mangelhafte Wissen über den öffentlichen Nahverkehr. Hier reicht es beispielsweise die drei am schlechtesten bewerteten Standorte zu vergleichen und die Aussagen auf Glaubwürdkeit hin zu überprüfen. Am schlechtesten schnitt das Tollensetal ab, da hier kein ÖPNV vorhanden sein soll, etwas besser war Groß Raden mit einem Busliniennetz und Putbus, das man auch mittels Bahn erreichen kann. Um nach Groß Raden zu gelangen muss man den Bus nach Sternberg nehmen, der an Werktagen mehrmals fährt und von dort aus den restlichen Weg zu Fuß absolvieren, der etwa 6.6 Kilometer lang ist. Am Wochenende muss man zwangsläufig auf die Bahn umsteigen und den restlichen Weg mit dem Fahrrad zurücklegen. Der nächstgelegene Bahnhof ist in Blankensee und 14.2 Kilometer von Groß Raden entfernt. Die Distanz von Weltzin im Tollensetal zum Bahnhof von Altentreptow beträgt übrigens nur 8.6 Kilometer. Weshalb das keinen Punkt wert ist, wissen nur diejenigen, welche das Gutachten erstellt haben. Putbus fährt die Bahn, zumindest während der Saison, im Stundentakt an, so dass dieser Standort in Bezug auf den ÖPNV deutlich besser als Groß Raden aufgestellt ist.
Groß Raden | Weltzin/Tollensetal | Putbus | |
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Bewertung |
Nur Busverbindungen -Busliniennetz |
Nicht vorhanden |
-Bahnverbindung ab/bis Bergen -Privatbahn- und Busliniennetz |
Punkte | 20 | 0 | 30 |
Bahnhof | Blankensee 14.2 |
Altentreptow 8.6 |
Putbus 0.6 |
Bushaltestelle | Sternberg ZOB 6.6 |
Abzweig Burow 2.0 |
Putbus/Circus 1.2 |
Beim Besucherpotenzial widerum dichtet man der größten Stadt des Landes auch das größte Interesse an. Man nimmt die Einwohnerzahl der jeweiligen Orte und die Bewohner des auf eine Autostunde ausgedehnten Einzugsgebiets. Dabei übersieht man geflissentlich, dass die Mecklenburger Seenplatte ein beliebtes Ausflugsziel für Tagestouristen aus Berlin ist. Vom Berliner Hauptbahnhof benötigt man beispielsweise nur eine Stunde und zehn Minuten, um mit den Regionalexpress nach Neustrelitz zu kommen. Ein Besucherpotenzial, welches im Gutachten nicht existent ist.
Besucherpotenzial | Schwerin | Rostock | Greifswald | Stralsund | Tollensetal | Neustrelitz | Groß Raden | Bad Kleinen | Putbus |
Einwohner/Region | 921000 | 919000 | 622000 | 606000 | 369000 | 312000 | 652000 | 900000 | 223000 |
Übernachtungen | 358468 | 1897526 | 195429 | 460800 | – | 59741* | 48697 | 47000 | 145756 |
*ohne Camping- und Bootstourismus
Betrachtet man jetzt einmal die Besucherzahlen des letzten Jahres mit dem ausgewiesenen Besucherpotenzial fällt Stralsund deutlich heraus, denn das dort beheimatete Deutsche Meeresmuseum lockt mit seinen Stralsunder Außenstellen, dem Ozeaneum und dem Nautineum deutlich mehr Besucher, als angegebene Besucherpotenzial aus der Region. Auch bei der Betrachtung der Übernachtungen zeigt sich dieses positive Bild. Schon allein das Meeresmuseum lockte 2015 mehr Besucher als das Schweriner Schlossmuseum und Galerie alte und Neue Meister zusammen. Das Ozeaneum wiederum war für zehnmal so viele Besucher interessant wie die Kunsthalle Rostock oder das Kulturhistorisches Museum Rostock. Diese Zahlen dürften auch nicht so stark belastbar sein, denn im Kulturhistorischen Museum wird seit einigen Jahren kein Eintritt verlangt.
Andererseits kann man die Ausstellungen der Kunsthalle mit seinem gelösten Ticket gleich mehrmals besuchen. Desweiteren erschafft das Gutachten aus Rostock einen Scheinriesen, denn viele der aufsummierten Übernachtungen werden im Ostseebad Warnemünde gebucht, zumeist bei einem längeren Badeaufenthalt, während es sich bei den übrigen Städten um Tagestouristen handelt, deren Besuche deutlich kürzer ausfallen. Wer zwei Wochen am Stück an der Ostsee weilt, dürfte wohl nur für einen Museumsbesuch das Potenzial haben und nicht für vierzehn. Entsprechend niedrig fällt die Quote der Besucher aus, welche während ihres Aufenthalts in Rostock überhaupt ein Museum besuchen. Warum das bei einem weiteren Museum völlig anders sein soll, schweigt sich das Gutachten aus.
Museum | Besucher 2015 |
---|---|
Meeresmuseum/Ozeaneum/Nautineum Stralsund | 820000* |
Ozeaneum Stralsund | 546000* |
Meeresmuseum Stralsund | 198400* |
Staatliche Museen Schwerin (Schlossmuseum + Galerie) | 196804 |
Schlossmuseum Schwerin | 166670 |
Jagdschloss Granitz | 130000** |
Stralsund Museum | 86000* |
Kulturhistorisches Museum Rostock | 55851 |
Kunsthalle Rostock | 52021 |
Schloss Bothmer | 50000* |
Pommersches Landesmuseum Greifswald | 42000* |
Phantechnikum Wismar | 41000* |
Schiffbau- und Schifffahrtsmuseum Rostock | 31949 |
Galerie Alte und Neue Meister Schwerin | 30134 |
Heimatmuseum Rostock-Warnemünde | 12339 |
*gerundet **Durchschnittswert
Zusammenfassend äußert sich das Gutachten über die Standorte so:
Ein Archäologisches Landesmuseum kann in der Kulturstadt Schwerin einen weiteren Schwerpunkt setzen und neue Besucher in die Stadt bringen. Die starke kulturelle Ausrichtung der Stadt zu Schloss und Kunst könnte aber auch das Interesse für Archäologie reduzieren, so dass ein künftiges Archäologiemuseum größere Anstrengungen unternehmen müsste, um Besucher anzuziehen.
Als Standort für ein Archäologisches Landesmuseum bietet Rostock ideale Voraussetzungen. Die Mischung aus Studierenden, Wirtschaft und Gesellschaft sowie Touristen generiert ein hohes Maß an künftigen Besuchern. Im kulturellen Profil der Hansestadt Rostock fehlt ein Kultur-Leuchtturm, dieses Projekt könnte diese Lücke schließen. Das Thema „Archäologie“ würde auch gut in die Wissenschaftslandschaft der Stadt passen.
Als Standort für ein Archäologisches Landesmuseum ist die Universitätsstadt Greifswald im Vergleich zu den anderen weniger geeignet. Zwar zeigt Stadt ein vielseitiges Gesicht, touristische Defizite sind aber erkennbar. Es ist fraglich, ob sich hier ein zweites großes Museum etablieren kann.
Als wichtige Stadt im Ostseetourismus hat Stralsund als Standort für ein Archäologisches Landesmuseum gute Voraussetzungen. Stralsund verfügt über großartige Museen, insbesondere im naturwissenschaftlichen Bereich. Ein weiteres Museum, wie ein Archäologisches Landesmuseum, könnte die Museumslandschaft einerseits erweitern und bereichern, andererseits muss mit einer sehr starken Konkurrenz gerechnet werden.
Der Standort Tollensetal liegt im ländlichen Bereich unweit der Bundesautobahn 20. Er ist zwar von den touristischen Destinationen Stralsund, Usedom oder Waren innerhalb einer Stunde erreichbar, dennoch ist die Region touristisch kaum erschlossen. Als Standort für ein Archäologisches Landesmuseum ist Weltzin bzw. der Ausgrabungsort ungeeignet.
Neustrelitz vermag im kleinen Maßstab zu leisten, was größere Städte auch können. Für ein Projekt, das die Tragweite einer Landeseinrichtung hat, ist sie aber zu klein und besitzt in der dünn besiedelten Region zu wenig Besucherpotenzial. Selbst der Tourismus in der Region wird für eine auskömmliche Besucherauslastung zu schwach ausgeprägt sein.
Der Standort Groß Raden mit dem Freilichtmuseum ist ein beliebtes Ausflugsziel und bietet durch sein vielseitiges Programm attraktive Angebote für verschiedene Zielgruppen. Ein großer Nachteil besteht in der Erreichbarkeit und der Anbindung des Standorts. Zwar hat sich Groß Raden als Museumsstandort etabliert, er ist aber für ein Landesmuseum nicht geeignet. Für ein Archäologisches Landesmuseum müssten erhebliche Aufwände betrieben werden, um eine auskömmliche Besucherzahl zu erreichen.
Bad Kleinen kann die Potenziale der anderen Standorte wie Rostock, Schwerin oder Stralsund nicht erfüllen. Abgesehen von dem Gebäude, das für die konservatorischen Belange der archäologischen Sammlungen stark aufgerüstet werden müsste, befindet sich der Standort zwischen den großen „Playern“, wenn es um Kultur und Unterhaltung geht. Die Entscheidung für den Standort Bad Kleinen müsste politisch getragen sein, der Aufwand in Infrastruktur und Marketing wäre erheblich.
Putbus bietet sich als Standort für ein Archäologisches Landes-museum aus rein touristischer Perspektive an. Der Tourismus auf Rügen wird während der Sommermonate für auskömmliche Besucherfrequenz sorgen. Dennoch ist der Standort aufgrund seiner Erreichbarkeit eher problematisch, die südöstliche Randlage der Insel ist für Besucher aus Mecklenburg-Vorpommern und den benachbarten Bundesländern weit entfernt, was einen spontanen Museumsbesuch fast ausschließen lässt. Schulkassen müssten einen weiten Weg auf sich nehmen, von Kosten hierfür mal ganz abgesehen, um die archäologischen Schätze des Landes ansehen zu können. Da ein Landesmuseum aber auch einen Bildungsauftrag hat und für alle Menschen zugänglich bleiben muss, sollte der künftige Standort auch nach diesem Kriterium ausgewählt werden – dies erfüllt der Standort Putbus nicht.
Interessant ist aber, was in dem Gutachten so alles ins Feld geführt wurde, um den Standort Rostock attraktiver aussehen zu lassen, beziehungsweise die notwendigen Punkte in der SWOT-Analyse zuschieben zu können. Dass der drittgrößte Ostseehafen Deutschlands etwas mit dem Besucherpotenzial für ein Museum zu tun hat, ebenso wie die mittelständischen Unternehmen im Hightech-Bereich, die sich in Rostock angesiedelt haben, kann man denkenden Menschen wohl nicht ernsthaft vermitteln wollen. Aber rein zufällig ist in Rostock auch der Wahlkreis von Mathias Brodkorb, der in seiner Funktion als Kultusminister das besagte Gutachten in Auftrag gegeben hat. Eine kleine Hoffnung bleibt den übrigen Standorten aber noch, denn die endgültige Entscheidung über den zukünftigen Museumsstandort soll nach Aussagen der Kultusministeriums erst nach der kommenden Landtagswahl gefällt werden. Nach den vorliegenden Zahlen hätte eigentlich Stralsund oben stehen haben müssen.