Schwarzbuch Bürgerhaushalt oder Wenn Bürger haushalten

Rathaus Greifswald
Rathaus Greifswald

Als die Bürgerschaft der Universitäts- und Hansestadt Greifswald im Juli 2015 beschloss, einen Bürgerhaushalt einzuführen, informierte sich die Verwaltung über die verschiedenen Modelle, die in anderen Städten etabliert wurden. Es ging sogar soweit, dass eine größere Delegation nach Eberswalde fuhr, um dort den alljährlichen Tag der Entscheidung zu erleben. In die engere Auswahl kamen die Modelle der Bürgerhaushalte von Eberswalde und Senftenberg, welche im März 2016 in einer gutbesuchten Informationsveranstaltung vorgestellt wurden. Hierfür reisten beide Bürgermeister persönlich nach Greifswald und berichteten ausführlich über die Umsetzung, die auftretenden Probleme und deren Lösungen. In Eberswalde gab es beispielsweise das Problem, dass die größeren Vereine aufgrund ihrer daraus resultierenden Stimmmacht ihrer Mitglieder beim Tag der Entscheidung die ersten Abstimmungen für sich entscheiden konnten, so dass kleinere Vereine leer ausgingen. Und so passte man die Regularien des Bürgerbudgets so an, dass nun auch kleinere Vereine eine Chance haben und die mit einer Finanzspritze bedachten Antragsteller eine Zeitlang nicht bedacht werden können.

Im September 2017 wurden in Greifswald die ersten Anträge durch die Ortsteilvertretungen bewilligt, im Gegensatz zu den beiden Städten, die als Vorbild dienten, schaute man bisher aber nicht genauer hin, ob die Gelder auch wirklich im Sinne des Bürgerhaushaltes verwendet wurden. Aber auch der in Greifswald angedachte Tag der Entscheidung lässt auf sich warten, so dass die für weitere Entscheidungen in Sachen Greifswalder Bürgerhaushalt die eigentlich notwendige Erfolgskontrolle nicht beschleunigt hat. Während in einige Ortsteilen in den letzten Jahren die durch den Bürgerhaushalt ermöglichen Dinge sichtbar machten, ist in anderen Ortsteilen von dessen Existenz nicht viel zu merken. Um etwaige Kritik an bestimmten Entscheidungen der Ortsteilvertretungen überhaupt verstehen zu können, muss man sich die Richtlinie zum Budget der Ortsteilvertretungen (OTV) in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald (UHGW) zu Gemüte führen, und damit etwas machen, was offenbar die wenigsten Mitglieder der Ortsteilvertretungen bisher getan haben dürften.

3 Verwendung der Mittel

Das OTV-Budget ist auf die Verwendung für kleinere ortsteilbezogene Maßnahmen beschränkt. Eine einzelne Maßnahme sollte 3.000 € nicht übersteigen und nach Möglichkeit noch im gleichen Haushaltsjahr umsetzbar sein. Kleinere ortsteilbezogene Maßnahmen können insbesondere sein (BS-Beschluss B562-20/17):
1. die ergänzende Ausstattung und Benutzung der in der Ortschaft gelegenen öffentlichen Einrichtungen,
2. die Förderung von Vereinen, Verbänden und sonstigen Vereinigungen in dem Ortsteil,
3. die Förderung und Durchführung von Veranstaltungen der Heimatpflege, des Brauchtums in dem Ortsteil und sonstigen Ortsteilfesten,
4. die Pflege vorhandener Patenschaften und Partnerschaften,
5. die Information, Dokumentation und Präsentation in Ortsteilangelegenheiten.

7 Umsetzung

… Die Dienstanweisung Nr. 20-5 für die Gewährung von Zuwendungen an Dritte stellt die Konkretisierung der gesetzlichen Pflicht zum wirtschaftlichen und sparsamen Umgang mit öffentlichen Finanzmitteln dar. Mit vorgenannten Erleichterungen im Zuwendungsverfahren geht eine gesteigerte Verantwortung der OTVen einher, da nunmehr den OTV-Mitgliedern die Pflicht zukommt, im Vorfeld ihrer Entscheidungen für ortsteilbezogene Maßnahmen das erhebliche öffentliche Interesse des Ortsteils, die geeignete Art und Höhe der Zuwendung, die ordentliche Geschäftsführung des Zuwendungsempfängers und dessen Haushalts- und Wirtschaftssituation zu beurteilen.

Um jetzt nicht alten Kaffee aufwärmen zu müssen, reicht es völlig aus, sich die letzten Anträge anzuschauen, welche die neu eingesetzten Ortsteilvertretungen in den letzten Monaten bewilligt haben. Da die OTV-Budgets laut Richtlinie auf die Verwendung für kleinere ortsteilbezogene Maßnahmen beschränkt sind, die Betonung liegt auf ortsteilbezogen, hätten diese Anträge gar nicht bewilligt werden dürfen. Die Stadtverwaltung gibt durch den Bürgerhaushalt zwar die Verantwortung an die Ortsteilvertretungen ab, fehlerhafte Entscheidungen zu ignorieren ist aber auch keine Lösung.

aktuelle Beispiele (ab September 2019)

3000 Euro Anschaffung einer Hüpfburg
Dorf-Förderverein Friedrichshagen e.V.
1000 Euro Ausflüge und Kurzreise für Kinder aus der Mole
verquer im Kultur- und Initiativenhaus Greifswald e.V.
1000 Euro Einrichtung eines Spielbauraumes
SV Hansekinder e.V.
750 Euro Weihnachtsfeier
FC-Al Karama Greifswald e.V.
750 Euro Weihnachtliche Lichterfahrt Insel Usedom, Greifswald Umland
Begegnungsstätte Schönwalde II
600 Euro Spielzeug als Weihnachtsüberraschung
KiTa Inselkrabben
490 Euro Ausflug zum Baumwipfelpfad – Kosten für den Bus
Grundschule Greif

3000 Euro für eine Hüpfburg, welche man vielleicht zwei- bis dreimal im Jahr benötigt, ist nicht unbedingt ein wirtschaftlicher und sparsamer Umgang mit öffentlichen Finanzmitteln, zumal die Stadtwerke Greifswald seit ein paar Jahren mehrere Hüpfburgen haben, die sie kostenfrei verleihen. Irgendwann, wenn alle Ortsteilvertretungen diesen Anspruch haben sollten, hat jeder Ortsteil von Greifswald eine eigene Hüpfburg, welche die übrigen dreihundertsechzig (+x) Tage im Jahr im Abstellraum einstauben. Was Honorare für Betreuerinnen mit einer ortsteilbezogenen Maßnahme geschweige ehrenamtlicher Arbeit zu tun haben, dürften sich nicht wenige Leute fragen. Dass man die Teilnahme von Kindern und Jugendlichen von im Ortsteil ansässigen Vereinen an Wettbewerben eine als Förderung von Vereinen ansehen kann, ist vielleicht nachvollziehbar, für die Aufsichtspersonen bei Ausflugsfahrten Gelder zu zahlen, hat selbst mit dem besten Willen keinen Ortsteilbezug.

Den Bezug zum Ortsteil hat auch der von der Grundschule Greif durchgeführte Ausflug zum Baumwipfelpfad nicht, der zwar den Kindern etwas Bildung vermittelt, langfristig die Ortsteilvertretungen vor ein Problem stellt. Wenn man von dem rechtlich vorgeschriebenen Gleichbehandlungsgrundsatz ausgeht, müssten alle Schulausflüge mittels Bürgerhaushalt von den Ortsteilvertretungen genehmigt werden. Glück haben die Ortsteile, in denen keine Schule steht. Für diese Klassenfahrten müssten die Budgets für die Schulen angepasst werden, sprich erhöht werden, damit auch die Kinder finanziell schwacher Eltern an diesen teilnehmen können. In die Kategorie nicht ortsteilbezogener Veranstaltungen fällt unter anderem auch die Weihnachtliche Lichterfahrt auf die Insel Usedom der Begegnungsstätte Schönwalde II.

Im Gegensatz zu den Kindern und Jugendlichen, die Sport treiben und denen man eine Teilnahme an Wettbewerben ermöglicht, also den Vereinszweck unterstützt, hatte der Bürgerhaushalt nicht unbedingt Vergnügungsfahrten im Sinn, wenn er ortsansässige Vereine bei ihrer Arbeit unterstützen will, sondern doch eher die Durchführung von Veranstaltungen im Ortsteil durch die Vereine, welche er mit entsprechenden finanziellen Mitteln dabei helfen möchte. In die Kategorie Mitgliederbespaßung übrigens fällt auch die Weihnachtsfeier des FC-Al Karama Greifswald e.V., dessen Ausrüstung in den letzten Jahren zum Großteil durch das Ortsteilbudget finanziert worden ist. Eine Weihnachtsfeier fällt nicht unter den Vereinszweck eines Sportvereins und ist ein Privatvergnügen. Dass die Mittel für Einrichtung eines Spielbauraumes, die der SV Hansekinder e.V. beantragte, und das Spielzeug als Weihnachtsüberraschung für die KiTa Inselkrabben, letztendlich einem Eigenbetrieb der Universitäts- und Hansestadt Greifswald zugutekommen, welches die Gelder dafür einsparen kann ist nichts anderes als eine verkappte Subvention.