Der Beschluss der Greifswalder Bürgerschaft, dass es während der Sanierung des Theatergebäudes nun doch kein Interimszelt am Museumshafen geben soll, hat nicht nur das Theater Vorpommern hart getroffen, sondern auch das Publikum, welches von dieser Entscheidung massive Nachteile hat, und das, obwohl die Universitäts- uns Hansestadt Greifswald als Gesellschafter dazu verpflichtet ist, dem Theater die für den Betrieb notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die Argumentation mit gestiegenen Energiepreisen greift nicht, um die Entscheidung auf sich beruhen zu lassen und dem Publikum, welches in seiner Gesamtheit über seine Steuergelder den Betrieb des Theaters finanziert, zumindest in Teilen, deren Nutzung erschwert. Dabei ist es nicht unbedingt nur die zusätzlich investierte Zeit, welche einen Theaterbesuch aufwendiger werden lassen, denn es ist zum Teil auch eine soziale Selektion, welche dadurch stattfindet.
Um das zu verdeutlichen braucht man nur in die kürzere Vergangenheit zu schauen, und dort, was aus den Sonderpreisen für einkommensschwache Personen geworden ist, die als Bezieher von ALG II und von Leistungen im Rahmen des SGB XII an der Abendkasse deutlich verbilligte Karten erwerben können. Dank der Corona-Verordnungen war nur jeder dritte Platz besetzt, freie Plätze gab es an der Abendkasse nicht wirklich. Da dieses Angebot nur wenige der Anspruchsberechtigten überhaupt kennen, dürfte das Problem überschaubar geblieben sein. Ein größeres Problem für das Theater Vorpommern wird eine Interimslösung sein, welche an sich mangelhaft ist und über größere Lücken verfügt. Dass das Publikum bereit ist, über mehrere Jahre gewisse Einschnitte hinzunehmen, bezeugt unter anderen die gemeinsame Unterschriftenaktion der drei Theaterfördervereine, welche das Anliegen der Theaterleitung unterstützt, statt des versprochenen Theaterzeltes am Museumshafen die Stadthalle als Interimsspielstätte für die größeren Aufführungen zu bekommen.
Derzeitig sind es, von ein paar Ausnahmen einmal abgesehen, hauptsächlich die kleineren Schauspiele im Rubenowsaal oder Kammerkonzerte, welche platztechnisch in Greifswald angeboten werden können. Von einem Vier-Sparten-Haus ist nicht wirklich etwas zu merken. Bleibt also die Alternative Theater Stralsund, die für viele Leute gar keine ist, wenn man dort das Publikum nach bekannten Gesichtern durchforstet. Um eine lange Geschichte kurz zu erzählen: Bei den bisherigen Premieren dieser Spielzeit hat bislang kein einziges Mitglied der Greifswalder Bürgerschaft den Weg nach Stralsund gefunden, kein einziges! Auch nicht diejenigen, welche immer gerne behaupten, sich für das Theater zu interessieren. Offenbar haben sie die gleichen Probleme wie die anderen Leute aus Greifswald, denn der Anteil derer war bislang recht überschaubar, um es einmal nett zu umschreiben. Bei den Konzerten soll es laut Hörensagen zwar etwas besser sein, aber auch hier trifft Berufstätigkeit auf zusätzliche Reisezeiten, welche oftmals zeitlich nicht harmonieren.
Ein Beleg dafür sind die Verkaufszahlen für die Philharmonischen Konzerte, ein Indiz an dem man sich orientieren kann, wenn man als Außenstehender keinen Einblick in die Bücher hat. Das Philharmonische Orchester Vorpommern gehörte übrigens zu den Orchestern in Deutschland, welche die langjährigen Corona-Einschränkungen gut überstanden haben, denn als es wieder spielen konnte, waren die Säle wieder prall gefüllt, das Publikum wieder da. Der Anblick des Onlineshops belegt bestens die gehobene Altersstruktur des Konzertpublikums, welchem man mit weltfremden Argumenten wie beispielsweise Fahrgemeinschaften bilden alles andere als ein Lächeln ins Gesicht zaubern vermag. Jemand, der ein solches Konzert besucht, ist durchschnittlich im Rentenalter und fährt schon lange kein Auto mehr. Es gibt zwar Ausnahmen, die auch schon früher den Weg nach Stralsund gefunden haben, weil es in Greifswald keine Karten mehr gab, das sind aber Ausnahmen.
Für das ältere Publikum würde sogar ein Shuttlebus keine Alternative darstellen, da für sie der Weg zum Theater schon recht beschwerlich ist, von Leuten, die im Rollstuhl sitzen ganz zu schweigen. Bei dem Thema Shuttlebus gibt es geteilte Meinung, welche würden ihn nutzen, andere bezweifeln die Attraktivität bei insgesamt drei Stunden Mehraufwand. Auch eine Fahrt mit dem ÖPNV wäre theoretisch möglich, wenn wir in Vorpommern einen hätten, der diesen Namen verdienen würde. Seit Monaten fallen aus Krankheitsgründen vermehrt Züge aus, selbst zwischen Greifswald und Stralsund gibt es keine Stundentaktung, und dass obwohl beide Städte ein gemeinsames Oberverwaltungszentrum bilden. Wer eine Vorstellung um 19:30 Uhr in Stralsund besucht und den Zug um 22:17 Uhr verpasst, kann zumindest den um 00:06 Uhr am nächsten Tag nehmen. Beiden Zugverbindungen übrigens ist gemein, dass sie nach Ankunft in Greifswald gezwungenermaßen zu einem längeren Spaziergang einladen. Man muss schon sehr leidensfähig sein, um sich diese Strapazen zu jedem Theaterbesuch zu gönnen, bei jedem Wind und Wetter.
Der ÖPNV ist übrigens auch finanziell keine Alternative, denn schließlich kostet inzwischen eine einfache Fahrt von Greifswald nach Stralsund 10,00 Euro, von Greifswald Süd sogar schon 10,80 Euro. Unter dem Strich kommt zu einer Eintrittskarte, ob nun Normalpreis oder ermäßigt dank KuS oder TheaterCard noch einmal über 20,00 Euro obendrauf. Dass bei solchen Bedingungen die Zuschauerzahlen in bestimmten Sparten massiv in den Keller gehen werden, schließlich können sich viele einen Theaterbesuch auch dank solcher Vergünstigungen überhaupt leisten. Da zudem die anvisierte Sanierung länger als drei Jahre dauern wird, realistischer dürften inzwischen fünf Jahre sein, ist die Existenzbedrohung, welche der Intendant des Theater Vorpommern Ralf Dörnen für dieses erkannt hat, kein unrealistisches Szenario. Ein Theater lebt von all seinen Sparten! Ein Theater muss alle Leute erreichen können, ob jung oder alt, ob reich oder arm! Die Universitäts- und Hansestadt Greifswald muss als Gesellschafterin ihre Pflicht erfüllen und es ermöglichen, dass das Theater Vorpommern dieses Ziel auch erreichen kann.
Die Stadthalle, welche fast nur leer steht, dem Theater als Interimsspielstätte zu überlassen, ist auch bei der angespannten Haushaltslage ein recht kleiner Wunsch, ein Wunsch, dessen Erfüllung aber viele Leute glücklich machen würde.